Liebes Publikum,
„Bin ich inspiriert geht alles gut, doch versuche ich es richtig zu machen, gibt es ein Desaster“, ist ein berühmter Satz des britischen Dramaturgen und Dozenten Keith Johnston (*1933), Mitbegründer des modernen Improvisationstheaters. Damit beschreibt er genau das Spannungsfeld, in dem sich jede/r Spieler*in unserem Beruf dauernd befindet. Doch nicht nur die Spieler*innen beschäftigen sich momentan mit Spannungsfeldern, auch an den Theatern sind mannigfaltige gesellschaftliche Debatten angekommen, die das bekannte Strukturgefüge der oftmals noch immer hierarchisch organisierten Häuser ins Wanken bringen. Die Ensembles werden diverser, die schlichte Reproduktion der Klassiker als Hauptprogramm der Stadttheater infrage gestellt, die Spieler*innen mischen sich – zum Glück – in Proben und bei Stücktexten mehr denn je ein.
Auch uns beschäftigten die Struktur- und Teilhabedebatten, die die Theater und auch unsere Gesellschaft in Atem halten. Wir stellen uns ihnen. Wir versuchen, die Anliegen dieser Debatten in einen theatralen Diskurs zu überführen und dabei die Inhalte, die unsere Studierenden einbringen, sichtbar zu machen. Wir versuchen produktiv miteinander zu streiten, immer wieder um den Inhalt, darum, was gutes Spiel ist und welchen Erwartungen es standhalten muss. Wir haben auch ein Auge auf den Film, der neben dem Theater für die Spieler*innen ein wichtiges Medium geworden ist. Das in Summe ist nicht wenig.
Was also braucht es in dieser Umbruchzeit, in der das Theater neu gedacht wird, neu gedacht werden muss, für Spieler*innen? Es braucht Spieler*innen mit großem handwerklichen Können und Selbstvertrauen in die eigene künstlerische Phantasie. Es braucht Spieler*innen mit der inneren Sicherheit, über eine eigene und wirksame Sprache zu verfügen, die sie auf der Bühne sichtbar machen können. Es braucht Spieler*innen, wie sie unser Artist Diploma schon seit Jahren abbildet. Es braucht Spieler*innen, die sich auch als Künstler*innen ihrer eigenen Geschichte und Weltsicht verstehen, und sich daher bei diesem Teil ihrer Abschlussprüfung der Herausforderung stellen, den Stoff selbst zu wählen und nicht selten selbst zu schreiben, ihr „Stück“ selber zu spielen, den Abend auszustatten und im Grunde auch selbst Regie zu führen.
Wir im Studiengang Schauspiel an der Folkwang Universität der Künste glauben an die sich selbstbefähigenden Ensemblespieler*innen – auch als ein Angebot an die Theater zu einem neuen gemeinsamen Aufbruch. Wir glauben an das schauspielerische Handwerk, an ein eigenes künstlerisches Bewusstsein und den eigenen künstlerischen Zugriff. Genau deshalb verpflichten wir uns in der vierjährigen Schauspielausbildung, selbstständige Künstlerpersönlichkeiten auszubilden. Und somit können unsere Artist Diploma-Arbeiten, neben den Rollen-, Bewegungs-, Theorie- Sprechunterrichten und Vorstellungen, als Königsklasse unserer Ausbildung bezeichnet werden.
Unsere Studierenden, alsbald Absolvent*innen, zeigen ihre Sicht auf die Welt. Sie haben dazu die freie Wahl der künstlerischen Mittel, des Themas, der Herangehensweise. Sie sind verantwortlich für den Stoff, die Regie, die Ausstattung und das Spiel. Sie haben seit zwei Jahren dazu noch die Herausforderungen mannigfaltiger Einschränkungen zu bewältigen. Durch die Corona-Pandemie haben sie Studieninhalte teilweise nur online erlebt, sind sich in Präsenz mit Maske und Abstand begegnet und mussten doch alle Qualitäten, die gutes Spiel ausmacht, trotzdem herstellen: Intimität im Spiel, Wahrhaftigkeit, Partnerbeziehung, Körperlichkeit im Bühnenraum und ein handwerkliches Sendungsbewusstsein in Spiel und Sprache.
All diesen Anforderungen haben sich unsere Studierenden des Abschlussjahrgangs 2022 auch in diesem Jahr wieder mit viel Mut und Inspiration gestellt, begleitet von unseren Dozierenden Prof. Noam Meiri und Prof. Gerold Theobalt.
Wir freuen uns, Ihnen dieses Jahr, nach sehr vielen abgesagten Veranstaltungen, die so unterschiedlichen Artist Diploma-Projekte in Präsenz zeigen zu können und Sie durch die Augen unserer Studierenden auf eine kleine Weltenreise mitzunehmen. Hin zu dem, was sie bewegt, was sie von sich zeigen wollen. Hin zu einem Staunen über das künstlerische Können, die Kreativität des Samplings und manchmal ganz einfach hin zum theatralen Moment, der alles in einen eigentümlichen Glanz taucht, wie es nur die Bühne vermag.
Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der diesjährigen Reise und bedanken uns bei allen Techniker*innen, Helfer*innen und Künstler*innen, die unseren Studierenden und Ihnen, liebes Publikum, heute ermöglichen, inspiriert zu schauen und zu erleben. Und wie fast immer in unserer Ausbildung, in unserer Sicht auf Kunst und Welt, versuchen auch wir an diesem Artist Diploma-Abend, wieder inspiriert zu sein und das Risiko einzugehen, das damit einher geht. Wir versuchen natürlich auch, so viel wie möglich richtig zu machen. Nur nicht unbedingt in diesem Moment auf der Bühne, wo es darum gar nicht geht, denn es geht dann nur um das losgelöste Fliegen. Dem zuzusehen, sich dem zu überlassen, zu staunen und davon getragen zu werden, dazu laden wir Sie auch in diesem Jahr wieder ein.
Ganz herzlich,
Ihre Prof. Daniela Holtz
- Studiengangsvertreterin Schauspiel -
Der Reinfall
Amelie Willberg, Luise von Stein
Danny Soulbury - Eine Geschichte über Life
Constantin Gerhards
Falken brennen jung
Carl Grübel, Joshua Hupfauer, Leon Tölle
Wegen Kündigung geschlossen
Susanne Blodt & Maximilian Osterholz
Eva
Anna Jörgens
Olive Planet
Shehab Fatoum
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Lea Taake
Während wir diese Zeilen schreiben, sind wir voller Optimismus, dass es aufgrund der Pandemie keine unliebsamen Überraschungen mehr geben wird und die Schüler*innen des vierten Studienjahres endlich die Möglichkeit bekommen, ihre originellen, selbst verfassten Werke zu präsentieren und somit ihr Studium nach vier Jahren erfolgreich abzuschließen.
Der Entstehungsprozess der Aufführungen, die Sie heute Abend sehen werden, erstreckte sich über anderthalb Jahre. In dieser Zeit entwickelten die Studierenden Aufführungskonzepte über Themen, die ihnen am Herzen lagen, und stellten sie in kleinen Inszenierungsformaten schulintern zur Diskussion. Auf eine vierwöchige intensive Arbeitsphase - das sogenannte „Exposé“ - folgte ein halbes Jahr später die letzte sechswöchige Probenzeit bis zur Premiere.
Dieser strukturierte Prozess, den wir im Laufe der Jahre entwickelt haben, wurde in den letzten vier Semestern aufgrund der Pandemie viele Male massiv gestört. Bis zuletzt blieb bei allen Beteiligten eine bedrückende Unsicherheit, ob es in diesem Jahr überhaupt möglich sein werde, die mit viel Engagement und Herzblut begonnene praktische Artist Diploma-Arbeit erfolgreich abzuschließen.
Aber: "Wir haben es geschafft"! - Um genau zu sein: „Sie haben es geschafft!“ - Denn es sind die Studierenden, denen man an dieser Stelle einmal Applaus zollen muss. Durch Corona sind ständig neue Schwierigkeiten über sie hereingebrochen und haben jedwede Form von kreativer Arbeit nahezu unmöglich gemacht: das Verbot, sich als Klasse zu versammeln, das Verbot, ein Publikum einzuladen, rigide Abstandsregeln und Maskenpflicht, geschlossene Bibliotheken, erschwerende Reiseauflagen bis hin zu geschlossenen Grenzen und Lock Down.
Zu den Problemen im Studium kamen der Verlust von Jobs und neue Geldsorgen, schließlich die Angst um die Gesundheit älterer Verwandter, die man jetzt nicht mehr so ohne weiteres besuchen konnte. Denn über allem schwebte ja ständig die Angst vor Ansteckung, die sich wie Mehltau auch auf den Unterricht und die Probenarbeit legte. Diese Zeit verordneter Isolation hat uns alle belastet. Planung war schier unmöglich. Man konnte ja niemals sicher sein, was der nächste Tag bringen würde. Also mussten wir improvisieren - eine tägliche Feier des "Hier und Jetzt".
Dieses wesentliche Konzept des Theaters - „das Hier und Jetzt" - hat sich früher im alltäglichen Umgang mit der Realität nie genau widergespiegelt. Das ist heute anders und zweifellos eine Erfahrung aus der Pandemie. Unser Studiengang hat gelernt, Resilienzen zu bilden und der Seuche mit kluger Vorsicht, aber auch mit kreativen Energien zu trotzen. Was immer auch geschah, wir haben unser Ziel fest im Blick behalten, mit dem A. D. - Projekt für die uns anvertrauten jungen Theatermacher*innen eine Plattform zu schaffen, auf der sie ihrer künstlerischen Vision, ihrer kreativen Vorstellungskraft Raum geben und gleichzeitig alles anwenden können, was sie in den vier Jahren ihres Intensivstudiums gelernt haben.
Wir sind nur die Mentoren. Wir haben sie nicht geleitet. Wir haben sie beraten, ihnen Feedback gegeben, zusammen mit anderen Dozent*innen. Am Ende des Prozesses erfahren sie, was es heißt, eine freie Theatermacherin, ein freier Theatermacher zu sein - eine Erfahrung, so glauben wir, die ihnen bei ihrem weiteren künstlerischen Werdegang nachhaltig zugute kommen wird.
Prof. Noam Meiri
Prof. Gerold Theobalt
Technische Leitung: Ralf Rodloff
Veranstaltungstechnik: Tim Lenzing
Auszubildender: Jesse Wagner
Veranstaltungsmanagement: Roman Vittinghoff
Plakat / Postkartengestaltung: Yann Le Bot
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Kooperationspartner: